Fortbildung wirkt… wenn alles passt! – Wie Lehrkräfte individuell und kooperativ mit Fortbildung ihren Unterricht weiterentwickeln können
Anja Heinrich-Dönges, Carina Rübsamen, Petra Duske, Holger Weitzel, Bernd Reinhoffer (Pädagogische Hochschule Weingarten)
„Der Schlüssel für erfolgreiches Lernen ist Relevanz:
es muss uns weiterbringen, Möglichkeiten eröffnen,
Erfolge ermöglichen, nützlich sein“
(C. Böhler
Wie wirkt Fortbildung? – oder: Warum wirkt Fortbildung so oft nicht?
Fortbildungen haben es schwer, in den alltäglichen Unterricht hinein zu wirken. Engagierte FortbildungsteilnehmerInnen kommen häufig motiviert und inspiriert von Fortbildungen ‚zurück‘. Ideen und Überzeugung sind da, Fortbildung hat in ihren Köpfen und Herzen gewirkt (vgl. Lipowsky 2014; Helmke 2009). Doch die jeweils spezifischen schulischen Rahmenbedingungen vor Ort an der Schule können ihnen das Umsetzen der Fortbildungsinhalte erleichtern oder erschweren (Heinrich-Dönges, Reinhoffer & Wagner 2014).Umsetzungsunterstützend wirken bspw. bei Themen zum problemlösenden Experimentieren in der Grundschule gut ausgestattete Materialkisten, -ecken oder -räume. Doch in manchen Schulen fehlen diese. Materialien müssen mühsam selbst organisiert werden. Haben gleichgesinnte Lehrkräfte ähnliche Umsetzungsvorhaben lässt sich diese Organisationslast auf mehrere Schultern verteilen.
Die Bedeutung der kooperativen Strukturen an einer Schule rückt zunehmend mehr in den Aufmerksamkeitsfokus: Denn Teams aus Lehrkräften der Parallelklassen oder Fachgruppen können zur Umsetzung von Fortbildungsinhalten beitragen (Fussangel, Rürup & Gräsel 2016; Heinrich-Dönges 2019). Daher: Nehmen Lehrkräfte schulintern, als Team oder mit einem expliziten Auftrag für ein Team an einer Fortbildung teil, erhöht dies die Umsetzbarkeit.
Gute Fortbildung sollte daher immer beide Ebenen mitberücksichtigen: (a) die unterrichtliche Ebene, auf die die Inhalte zielen sowie (b) die schulische Ebene, in deren Rahmen die Inhalte umgesetzt werden. Professionelle Lehrkräfte bewegen sich auf beiden Ebenen und verknüpfen diese, um den SchülerInnen ein dauerhaft ertragreiches Lernen zu ermöglichen.
Gute Fortbildung verbindet Inhalte und Kooperation
Es erscheint also wichtig, die Fortbildungen, die unterrichtlichen Anliegen der Lehrkräfte sowie die Rahmenbedingungen vor Ort aufeinander abzustimmen. Umsetzungsunterstützende Fortbildung sollte in Formaten stattfinden, die teilnehmerInnen-orientiert angelegt ist: hinsichtlich der Inhalte (individuelle professionelle Kompetenz) aber auch der Umsetzungsmöglichkeiten (schulische und kooperative Rahmenbedingungen). Dies erfordert Reflexionsprozesse an verschiedenen Stellen:
Zu den Inhalten: Wirksame Fortbildungen bearbeiten die Themen, die für Lehrkräfte in der nächsten Zeit relevant sind. Die individuelle Relevanz kann sich aus Erfahrung, Reflexionsprozessen oder Evaluationen ergeben, genauso wie aus Motivation und Interesse oder schulspezifischen Bedingungen wie einem besonderen Schulprofil oder fachfremdem Unterricht. Auch externe Rahmenbedingungen wie ein neuer Bildungsplan, eine Verwaltungsvorschrift oder die Folgen bspw. der aktuellen Pandemie geben Anstösse.
Zur Umsetzbarkeit: Überzeugen die Fortbildungsinhalte durch ihre didaktische Qualität und die zu erwartenden Verbesserungen des Lernens der SchülerInnen, stellt sich die Frage nach der Machbarkeit vor Ort an der Schule. Durch Materialhinweise, Verweise auf Beschaffungsmöglichkeiten etc. können materielle Rahmenbedingungen in der Fortbildung direkt aufgegriffen werden. Die Kooperation und die personellen Rahmenbedingungen zu beeinflussen, ist jedoch deutlich komplexer. Hier sind Schulen mit etablierten Kooperations- und ermöglichenden Kommunikationsstrukturen klar im Vorteil (vgl. Little 1991). Kollegien, die sich um eine bessere Zusammenarbeit bemühen, können von kooperativ angelegten Fortbildungsformaten profitieren.
Lesson-Study-Ansätze ermöglichen Lehrkräften, kooperativ an ihren aktuellen Fragen zur Verbesserung des Unterrichts anzusetzen und gemeinsam die Wirkung anhand von SchülerInnen-Beobachtungen sichtbar zu machen (bspw. Dudley 2013). In einer Kombination mit ‚klassischen‘ Fortbildungen zu fachdidaktischen oder pädagogischen Inhalten ermöglicht Lesson Study den Lehrkräften, eigene erkannte Mehrwerte kooperativ zu erproben und ihre Wirksamkeit zu erkennen. So arbeiten die Lehrkräfte an ihren subjektiv relevanten Themenstellungen, nehmen externe Impulse auf und integrieren sie im Rahmen des Machbaren vor Ort in den Unterricht. Auch der Ansatz der Professionellen Lerngemeinschaft (bspw. Buhren 2015) ist auf die spezifischen Bedarfe von Kollegien oder Teilkollegien ausgerichtet und ermöglicht es, kooperativ Lösungen zu unterrichtsspezifischen Fragestellungen einzelner KollegInnen oder einer Fachgruppe zu suchen und zu erproben.
Die kooperativen Strukturen selbst können im Rahmen von Fortbildungsreihen bedarfsorientiert thematisiert werden (Fussangel, Rürup & Gräsel 2016). Liegt der Bedarf bspw. in der Etablierung naturwissenschaftlich-technischer Experimentierangebote in der Grundschule, stellen sich Fragen nach Materialbeschaffung und -verwaltung, zu Öffnungsgraden der Aufgabenstellungen, methodischen Entwicklungspotenzialen über die Klassenstufen hinweg (Stichwort Methodencurriculum) etc. Fortbildungen zur Unterstützung dieser kooperativen Strukturen, bspw. in Form einer Fortbildung zur Teamarbeit, lassen sich in fachdidaktische Fortbildungsreihen integrieren, um so die arbeitsteilige Ausrüstung und Umsetzung auf Klassenstufenebene mit kooperativen Prozessen zu koppeln. In diesem Sinne arbeiten die Lehrkräfte sowohl an der Umsetzung der Fortbildungsinhalte als auch an der Weiterentwicklung der personell-kooperativen und materiellen Rahmenbedingungen der Schule, die gerade die Umsetzung erst ermöglichen.
Weite Wege in kleinen Schritten begehen
Derartige Prozesse wirken komplex und langfristig. Sie setzen in der Tat verschiedene Bedingungen voraus: Ein gemeinsames Thema oder Vorhaben, das die Lehrkräfte eines Teams derart tangiert, sodass alle sich mit ihrer Fächerkombination und ihrer Expertise einbringen. Die Bereitschaft zur Kooperation dürfte in einem wertschätzenden, lösungsorientierten Klima gegeben sein. Sollten die individuellen Sichtweisen auf das Lehren und Lernen in einem Team sehr stark differieren, könnte es herausfordernd sein, dies als Bereicherung anzusehen, als ein breites Spektrum professioneller Kompetenz an der Schule. In solchen Fällen ist eine professionelle externe Moderation eine solide Unterstützung.
Die Planung der Umsetzung sowie die dafür erforderlichen Organisationsprozesse erfordern Absprachen und Verlässlichkeit der Einzelnen bei der Erledigung der einzelnen Beiträge zum Gesamtvorhaben. Auch hier lassen sich ggf. Fortbildungsbausteine bedarfsorientiert integrieren.
Zentral ist also vor allem ein offener Umgang mit den eigenen Bedarfen, den unterrichtlichen Bedarfen sowie den kollegialen Bedarfen.
Das Fortbildungsprojekt PROFI – ein Beispiel
Das Fortbildungsprojekt PROFI möchte Grundschulkollegien bedarfsorientiert Fortbildungen zur Unterstützung bei der Unterrichtsentwicklung anbieten. Dazu erheben wir die Bedarfe der Lehrkräfte in Einzelgesprächen und stimmen auf dieser Basis einen Fortbildungsplan mit dem gesamten Kollegium ab. Die Fortbildungen finden vor Ort an den Schulen statt und die FortbildnerInnen richten sie inhaltlich schulspezifisch auf die Konzepte und Expertisen aus. Die Umsetzung wird ggf. von den MitarbeiterInnen des Fortbildungsprojekts begleitet und der Fortbildungsplan nach Bedarf angepasst. Thematisch ist das Fortbildungsprojekt PROFI auf den Sachunterricht und seine Bezugsdisziplinen ausgerichtet, integriert aber auch allgemeinere pädagogische Fragen oder zunehmend auch Fragen zum digital unterstützten Lernen.
Schulen, die am Fortbildungsprojekt PROFI teilnehmen, stimmen zuerst über ein Kooperationsjahr ab. Ein Kollegium setzt sich Ziele, die aus individuellen und kooperativen Zielen in den Einzelgesprächen und der Abstimmung des Fortbildungsplans sichtbar werden. Die Umsetzung ist auf diese Ziele ausgerichtet und kann nach einem Jahr Kooperation bilanziert werden. Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Entscheidung über die Weiterführung des Gesprächs.
Seit 2019 wurde das Projekt auch auf die Sekundarstufe I sowie die Elementarbildung ausgeweitet und konzeptionell adaptiert.
Mit der zunehmend relevanter erscheinenden Bedeutung der Kooperation für das Umsetzen von Fortbildungsinhalten in einen verbesserten Unterricht, möchten wir den Lesson-Study-Ansatz in den Fortbildungen stärken. Denn Lesson-Study mit dem Fokus auf den zu praktizierenden Unterricht und dem sichtbar zu machenden SchülerInnen-Lernen ist unserer Ansicht nach eine Wirksamkeit versprechende Verbindung zwischen individueller und schulischer Entwicklung.
Quellen
Buhren, C. G. (2015). Personalentwicklung durch kollegiale Hospitation und Professionelle Lerngemeinschaften. In J. Berkemeyer, N. Berkemeyer & F. Meetz (Hrsg.), Professionalisierung und Schulleitungshandeln. Wege und Strategien der Personalentwicklung an Schulen (S. 160–184). Weinheim: Beltz Juventa.
Dudley, P. (2013). Teacher Learning in Lesson Study. what interaction-level discourse analysis revealed about how teachers utilised imagination, tacit knowledge of teaching and freshly gathered evidence of pupils learning, to develop their practice knowledge and so enhance their pupils’ learning. Teaching and Teacher Education, 34 (107-121).
Fussangel, K., Rürup, M. & Gräsel, C. (2016). Lehrerfortbildung als Unterstützungssystem. In H. Altrichter & K. Maag Merki (Hrsg.), Handbuch neue Steuerung im Schulsystem (S. 361–385) [S.l.]: Vs Verlag Fur Sozialwisse.
Heinrich-Dönges, A. (2019): Bedeutung berufsbezogener Interessenentwicklung für den Fortbildungstransfer von Lehrkräften – Ergebnisse einer qualitativen Begleitstudie zum Fortbildungsprojekt PROFI. In C. Donie, F. Foerster, M. Obermayr, A. Deckwerth, G. Kammermeyer, G. Lenske et al. (Hrsg.), Grundschulpädagogik zwischen Wissenschaft und Transfer (Jahrbuch Grundschulforschung, Bd. 23). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Heinrich-Dönges, A., Reinhoffer, B., Wagner, K. (2017): Schule verändern und sich selbst entwickeln bedeutet den Unterricht zu entwickeln – eine empirisch fundierte Checkliste. In: Giest, H., Hartinger, A., Tänzer, S. (Hrsg.): GDSUJournal, 7 (S. 51-64)
Helmke, A. (2009). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts ; Franz Emanuel Weinert gewidmet. Seelze-Velber: Klett; Klett Kallmeyer.
Lipowsky, F. (2014). Theoretische Perspektiven und empirische Befunde zur Wirksamkeit von Lehrerfort- und -Weiterbildung. In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (2. überarb. und erw. Aufl., S. 511–541). Münster, Westf: Waxmann.
Little, J. W. (1990). The persistance of privacy. Autonomy and initiative in teachers’ professional relations. Teachers College Record, 91 (4), 509–536.